Standort

Das Mahnmal zur Erinnerung an die Echzeller Opfer der Judenverfolgung ist auf dem Kirchplatz im Zentralort neben dem Mahnmal für die Weltkriegstoten aufgestellt worden.

Am 3.6.2013 hatte die Gemeindevertretung der Gemeinde Echzell dem Vorschlag des Arbeitskreises für diese Standortwahl einstimmig zugestimmt.

Dr. Jochen Degkwitz hat diese Standortwahl im Namen des Arbeitskreises wie folgt begründet (Text leicht gekürzt):


"Ein Mahnmal braucht natürlich einen Standort – und zur Diskussion über ein Mahnmal gehört ebenso natürlich auch die Frage, wo es stehen soll. Denn die Standortfrage ist alles andere als trivial. Der Standort ist auch immer Teil der Aussage des Mahnmals selbst.

Kürzlich waren meine Frau und ich in Berlin – Anlass war nicht zufällig der 27. Januar, der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Dieser Gedenktag bezieht sich auf den Jahrestag der Befreiung des KZs von Auschwitz, und er liegt, dies nun zufällig, drei Tage vor dem Jahrestag der Machtergreifung Hitlers. Die war jetzt gerade 80 Jahre her.

An einem freien Vormittag sind wir zum Holocaust-Mahnmal gegangen, das wir beide noch nicht „live“ erlebt hatten und unbedingt sehen wollten. Und wenn man in einem Arbeitskreis aktiv ist, der über ein Mahnmal für unsere ermordeten Echzeller Juden nachdenkt, sind ein paar Anregungen aus der „Erinnerungskultur“ der Hauptstadt natürlich sehr willkommen.

Sehr beeindruckend, sehr ergreifend ist dieses Holocaust-Mahnmal, mit dem unterirdischen „Ort der Information“ auch sehr informativ – wenn auch befremdlich ist, dass nur das Schicksal jüdischer Familien aus besetzten Gebieten geschildert wird; deutsche Juden kommen da seltsamerweise nicht vor. So hat uns gerade das große Holocaust-Mahnmal in Berlin in der Rückschau ins Grübeln gebracht.

 Warum gibt es, haben wir uns gefragt, ein Mahnmal für die Juden Europas, und warum klammert das die deutschen Juden aus? Warum haben wir ein anderes für die Sinti und Roma, und weitere für die Homosexuellen, für die Euthanasieopfer, für die „Märtyrer“ der Kirchen, während der ermordeten Sozialdemokraten und Kommunisten unspezifisch als „Opfern des Faschismus" oder „Verfolgten des Naziregimes" gedacht wird?

Und wo sind die Gedenkstätten für die Bombenopfer von Dresden, von Hamburg, von Köln? Sind die etwa keine Opfer des Nazi-Unrechts, wenn auch vielleicht indirekte? Und warum werden überall im Land die toten Soldaten sauber getrennt von allen anderen Opfern des Krieges und diese wieder von anderen Opfern des Nazi-Unrechts, als ob nicht gerade dieser Krieg selbst das größte Verbrechen gewesen wäre, das Deutschland unter den Nazis begangen hat – und das die Nazis auch an den Deutschen verübt haben?

Im Ossenheimer Wäldchen steht das große Turner-Denkmal, ursprünglich gewidmet – ganz neutral und frei von Ausgrenzungen: „Unseren Opfern 1914 – 1918 zum Gedächtnis“, dann lange, sehr lange nach dem zweiten Weltkrieg ergänzt um eine Tafel mit dem Text „Den Opfern des Weltkrieges 1939 – 1945 in dankbarer Erinnerung“.

Nur des Weltkrieges, nicht des Nazi-Regimes. Gerade die Turnvereine hatten viele jüdische Mitglieder. Aber nein, kein Wörtchen zu deren Gedächtnis, nur für die toten Soldaten, und das auch noch in Dankbarkeit, als hätten sie ihr Leben für eine gute Sache hergegeben.

Kurzum, Berlin hat uns gezeigt, dass man, wenn man nicht aufpasst, in der gut gemeinten Erinnerungskultur ausgerechnet den Ausgrenzungs- und Abgrenzungswahn der Nazis fortschreibt. Der Terror des Nazi-Regimes beruhte doch auf der vielfältigen peniblen Unterscheidung zwischen „denen“ und „uns“. Zwischen Juden und Deutschen, Ariern und Untermenschen, guten Deutschen und lebensunwertem Leben, was nicht alles.

Wenn man nicht aufpasst, schreibt man gerade mit der Gedächtniskultur Elemente der Nazi-Ideologie mit ihrem Unterscheidungs- und Ausgrenzungswahn fort. Das können wir nicht wollen!

Nein, wir wollen diese Form der Unterscheidung, der Diskriminierung, der Ausgrenzung nicht fortsetzten. Wir wollen hier in Echzell diesen Teufelskreis bewusst durchbrechen, der an der Wurzel jeder Form von Radikalismus und Extremismus liegt. Wir wollen aufhören mit der menschenunwürdigen Unterscheidung zwischen „denen“ und „uns“, zwischen Menschen, die hierhergehören und anderen, die angeblich nicht hierhergehören, zwischen guten Toten, denen wir gar noch dankbar sein müssen, und irgendwie schlechten Toten, für die wir uns schämen und die wir jetzt siebzig Jahre lang zusätzlich noch tot-geschwiegen haben.

Vor der evangelische Kirche im Kernort steht ein großes Mahnmal, auf dem die Namen der Echzeller Männer verzeichnet sind, die im 1. und 2. Weltkrieg als Soldaten sterben mussten. Hinzugefügt hat man seinerzeit die Namen von Gefallenen der Flüchtlingsfamilien mit der Begründung, die Angehörigen hätten sonst keinen Ort, an dem sie ihrer Toten gedenken könnten – eine noble Geste, eine gute Geste – und eine Geste just in dem Geist, den ich anzusprechen versuche: Hören wir auf mit der Unterscheidung zwischen „denen“ und „uns“, zwischen euren Toten und unseren Toten, toten Echzellern und toten Angehörigen von Flüchtlingen – toten Juden und toten Soldaten.

Wir möchten das Mahnmal für die vielen weiteren Mitbürger, die der Nazi-Herrschaft zum Opfer gefallen sind, auf dem freien Platz links neben diesem Mahnmal errichten – und mit erkennbarem Bezug eben zu diesem Mahnmal, als erkennbare und absichtliche Ergänzung. Dieser Standort und dieser Charakter der Ergänzung sollen eben dies deutlich machen: Dass wir aufhören wollen, zu unterscheiden, dass wir aufhören wollen, zu diskriminieren und auszugrenzen.

Nicht nur aufhören, die Juden weiter zu diskriminieren, indem wir etwa eine Gedenktafel verschämt irgendwo beim jüdischen Friedhof am Waldrand verstecken. Oder sonst irgendwo, Hauptsache weit entfernt von unserem Krieger-Ehrenmal. Nein, wir wollen auch aufhören, die toten Soldaten zu diskriminieren. Denn wir erleben beide Reflexe – sowohl: Was sollen die Juden neben dem Ehrenmal für unsere Gefallenen, als auch den, dass man den Juden die Nähe der Soldaten nicht zumuten kann.

Beide sind Opfer, tote Soldaten ebenso wie tote Juden, beide sind Opfer desselben verbrecherischen, menschenverachtenden und menschenmordenden Systems der Nazis. Auch wer freiwillig und begeistert in diesen Krieg gezogen sein mag, ist Opfer, dann zunächst eben Opfer einer unmenschlichen Erziehung und Propaganda – und erst dann des Krieges selbst. Aber es wäre eine Unterstellung, die vielen, vielen dieser Männer alles andere als gerecht würde, wenn man annähme, sie wären alle gern und bereitwillig in diesen schrecklichen Krieg und ihren schrecklichen Tod gegangen. So sind auch sie am Ende einfach bedauernswerte, betrauernswerte, beklagenswerte Opfer.

Und all unsere Opfer dieser schrecklichen Zeit gehören zusammen. Sie haben in ihrer Jugend dieselbe Schulbank gedrückt, haben zusammen getanzt und Karten geklopft, haben zusammen Fußball gespielt und sind in derselben Staffel gelaufen. Sie haben im Leben zusammengehört, es waren die Nazis, die sie auseinander gebracht haben. Wir wollen und dürfen deren Werk jetzt nicht fortsetzen! Darum gehören alle Opfer der Nazis und des Nazi-Krieges auch im Tode zusammen – zusammen unter dem einen bedenkenswerten Spruch, der auf dem Echzeller Mahnmal in großen Lettern steht: Wir Toten mahnen.

Auch hierin gibt es keinen Unterschied zwischen diesen und jenen Opfern – alle gemeinsam mahnen sie, den Frieden zu bewahren, nicht und niemals andere Menschen auszugrenzen und sich nicht und niemals über andere Menschen zu erheben."